Mary W. Shelley, Frankenstein oder Der neue Prometheus

Frankenstein ist vermutlich mit Stokers Dracula eins der bekanntesten und zugleich ungelesensten Bücher der Geschichte. Jeder kennt es – oder glaubt es wenigstens aufgrund einer oder mehrerer der zahllosen Verfilmungen zu kennen. Dass die wenigsten Leinwandstreifen etwas mit den zugrundliegenden Originalen zu schaffen haben, interessiert nicht. Warum auch? Man müsste das Original ja erst mal kennen und wer macht sich die Mühe schon?
Bei beiden Büchern ist die Mühe es wert. Zum Stoker werde ich mich demnächst äußern, daher liegt das Interesse hier zunächst auf Shelleys Text.

Das Missverständnis beginnt schon da, dass eine Verkürzung stattgefunden hat. Selbst der größte Teil der Leute, die die Geschichte kennen, sprechen von dem erschaffenen Wesen als Frankenstein. Leser, die geflissentlich mit Worten umzugehen verstehen, hängen wenigstens das konzisere Monster an den Namen. Aber auch das trifft es nicht ganz. Natürlich musste eine so unbändige Gestalt, die laudanumgezeugte Elemente des nietzscheianischen Übermenschen vorwegnimmt, den Zeitgenossen als ein Monster vorkommen. Aber deutet nicht schon Shelley selbst mit dem Beisatz „der neue Prometheus“ mehr an? Geht es nicht eher um eine Art Weiterentwicklung? Und zudem um das Problem des Schöpfers von Bewusstsein?

Der Text, vorgeblich einem Traum erwachsen, den Shelley hatte, als sie zusammen mit ihrem späteren Mann Percy Bysshe Shelley, Lord Byron und Dr. Polidori einen Sommer nahe des Genfersees verbrachte, ist auf seine Weise visionär. Unsere modernen Frankensteins wirken allerdings weniger an Leichen als vielmehr an Stammzellen und Klonen, oft unbedacht und skrupellos, oft glauben sie aber auch die gute Sache. Was immer sie aber antreibt, dieser Roman bleibt eine Warnung für jede Wissenschaft. Und genau deshalb bleibt er als Buch interessant, so romantisch verkleistert er an vielen Stellen auch ist.

Kommentare

3 Antworten zu „Mary W. Shelley, Frankenstein oder Der neue Prometheus“

  1. […] Aber das ist noch nicht alles: Denn das Gespensterbuch war schon kurz nach der Entstehung extrem populär. Eine Auswahl der Geschichten wurde ins Französische und ins Englische übersetzt. Diese Ausgabe wurde zur Inspiration einer Gruppe, die sich 1816 am Genfer See einfand: Lord Byron, William Polidori sowie Percy Bysshe Shelley samt Frau Mary. Letztere schrieb bei dieser Gelegenheit die bekannte Geschichte Frankenstein. […]

  2. Avatar von doctotte
    doctotte

    Ich räume ein, dass ich es damals nur auf Deutsch gelesen habe und wenig Reiz verspüre, es noch einmal zu lesen. Shelley ist eben nicht wegen ihrer Schreibe berühmt, sondern wegen ihrer Idee, ihrer Fantasie. Und bezeichnenderweise nur wegen dieser einen.
    Auch dieser Zweiteiler kommt mir unbekannt vor. Schrecklich, diese Unwissenheit! :DD

  3. Avatar von George
    George

    Ich habe mich einmal durch dieses Buch durchgekämpft, jawohl gekämpft, und kann nunmehr wenigstens behaupten es zu kennen. Mir hat die Sprache, dieses repetitiv-ausschweifend-geschwurbelte, sehr zu schaffen gemacht. Kein Satz, in dem nicht „the miserable wretch“ aufs Neue beschrieben wird, wenn auch mit stets gleichen Worten und Phrasen.

    (kennst du übrigens den Zweiteiler aus den 70ern, „Frankenstein – die wahre geschichte“ ? Ich weiß nur noch daß Jane Seymour mitgespielt hat, und auch das ist mir nur in Erinnerung weil mir damals klar wurde daß die den gleichen Namen hat wie eine der Frauen Heinrischs VIII 🙂 )

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