Betrachtung über den Misserfolg der SPD

Viel Aufhebens wird um das TV-Duell am heutigen Abend gemacht. Viel Rätselraten beschäftigt auch die Menschen in meinem weiten Umfeld. Ehrlich, ich bin noch bei keiner Wahl so oft von Freunden und Verwandten gefragt worden: Was soll ich eigentlich wählen?

Demjenigen, dem keins der Angebote gefällt, rate ich dringend, wenigstens zur Wahl zu gehen und den Wahlschein ungültig zu machen. Auf diese Weise ist es wenigstens möglich, die Ausschüttung der Wahlkampfkostenerstattung ein wenig zu steuern.

Nicht zum ersten Mal stellt vor allem die SPD die Wähler vor ein besonderes Dilemma. Es mag zwar wie eine Platitüde wirken, aber auch die Agenda 2010 hat die Partei für viele Menschen unwählbar gemacht. Ich selbst sehe über diese Agenda hinaus ein massives Zielgruppenproblem der Partei.

Obwohl sie in der Außendarstellung weiterhin Wert darauf legt, eine Volkspartei zu sein, die sämtliche gesellschaftliche Gruppen bedienen soll, spielen die Genossen doch auch im 21. Jahrhundert das alte Lied der „Arbeiterpartei“. In dieser Fehleinschätzung liegt eine der Wurzeln für den Erfolg der Partei, den man nicht einmal mehr mau nennen kann. Erstens sinkt der Anteil der Arbeiter in diesem Land spätestens seit den 80er-Jahren massiv. Zweitens macht die Partei so gut wie keine Arbeiterpolitik. Sie trägt also nur das alte Deckmäntelchen, das längst wie eine Pferdedecke müffelt, die seit mehreren Dekaden nicht mehr gewaschen wurde. Hier setzt teilweise auch die Agenda 2010 ein: Sie war der Tritt in den Arsch der arbeitenden Massen – sofern man noch von Massen sprechen möchte –, damit diese endlich in der Dienstleistungsgesellschaft ankommt.

Das Doofe ist nur: Die SPD ist und wird keine Dienstleistungspartei. Schlimmer, es gibt praktisch überhaupt keine Partei für Dienstleister. Klar, erfolgreiche Freiberufler wählen vielleicht die Wirtschaftsliberalen um Liftboy Rösler. Weniger erfolgreiche Freiberufler aus den Bereichen der neuen Medien (vulgo: digitales Prekariat) können sich vielleicht bei den Wirtschaftsliberalen der Piraten wiederentdecken, die sich mit ihrem roten Make-up einen sozialen Anstrich verpassen. Aber die Masse der Dienstleister, all die um ihren wahren Lohn betrogenen Reinigungsdienstleister, Friseure, Verkäufer und Wachdienstleister – die haben keine Partei, die sich für sie einsetzt. Im Gegenteil sorgen sämtliche Parteien dafür, dass deren Konkurrenz von Tag zu Tag größer wird, während der reale Lohn proportional dazu schrumpft. Die Forderung nach Mindestlöhnen ist der erste Versuch, wenigstens an diesem Problem eine Kleinigkeit zu ändern. Interessant war bei dieser Forderung lediglich die Beobachtung, aus welchen politischen Milieus sie kam, bis inzwischen sogar die Bundesangie so tut, als wäre sie schon immer dafür gewesen.

Was also, fragt man sich unwillkürlich, will die Führung der SPD eigentlich? Sie setzt sich nicht für ihre vorgebliche Wählergruppe ein; sie setzt sich nicht für die wirtschaftlichen Nachfolger ihrer vorgeblichen Wählergruppe ein; ja sie setzt sich praktisch für niemanden ein – außer für ihre eigenen Funktionäre.

Der Parteiapparat ist längst zu einer Maschine verkommen, die den Selbsterhalt sichert, aber nur durch Energie von außen funktioniert. Schaut man sich den Apparat selbst an, merkt man schnell, dass der Motor rechtsseitig konstruiert ist. Die Partei hat sich zur Geisel des Seeheimer Kreises gemacht, der nach außen durch Strohmänner wie Johannes Kahrs geführt wird, während hinter den Kulissen weiterhin die Schröder-Bagage die Strippen zieht. Wie anders soll man es schließlich nennen, dass Kanzlerkandidatversager Steinmeier nach der letzten Bundestagswahl den Job als Fraktionschef ohne Wahl usurpiert hat? Wie anders soll man es nennen, dass Steinmeier und andere Heimtücker nach einer monatelangen Vorbereitungsphase Dauerversager Steinbrück – ich erinnere an seine Zeiten als Pleiteminister Schleswig-Holsteins, als Pleiteminister Nordrhein-Westfalens und als Loserministerpräsident, der gegen die Obernulpe Rüttgers die Wahl verloren hat; da brauche ich Steinbrücks ahnungslose Politik als Bundesfinanzminister nicht einmal anzuführen – in die Position des Kanzlerkandidaten gehievt haben?

Der Seeheimer Kreis ist nicht nur auf falschem politischen Kurs für die Partei, schlimmer, er hat sie gekapert und missbraucht sie, damit seine Mitglieder wenigstens an den Fleischtöpfen innerhalb des Systems sitzenbleiben können. Warum sollte es sie interessieren, die Regierungsmacht zu übernehmen, wenn sie im eigenen Haus auf dicken Macker machen können, dem das Hausweibchen abends die Pulle Bier an die Couch bringt?

Und die Partei? Lässt sich wie das Entführungsopfer mit Stockholm-Syndrom missbrauchen. „Gabriel!“ höre ich die Apologeten des Ausgleichs rufen und „Nahles!“. Ach, ihr Optimisten. Erstens ist Gabriel trotz seines vorgeblichen Linksseins viel zu sehr mit diesem Kreis verbunden (nicht nur Wikipedia führt ihn als Mitglied des erweitertes Leitungskreises der Seeheimer). Und zweitens fehlt sowohl Gabriel als auch Nahles das Zeug dazu, den Strippenziehern die Fäden zu kappen. Selbst wenn die Wahl im September dem Kreis endlich das Genick brechen sollte – und das ist das Beste, das man einer Partei wünschen kann, die ihre Grundsätze seit dem ersten Weltkrieg immer wieder verraten hat –, selbst dann wird eine andere Erneuerung fällig. Gabriel wird sie nicht leisten können, für mehr als ein Interregnum wird es kaum reichen. Ein solches Interregnum muss aber zu einem neuen Aufbruch führen wie weiland unter Brandt. Nur dann trüge die Erneuerung ihren Namen zu Recht. Und ohne sie ist diese Partei nicht mehr zu retten.

Dagegen wäre es eine Katastrophe, wenn es den Seeheimern gelänge, einfach nur auf Merkels Abtritt zu warten und mangels Nachfolger(in) das faule Fallobst zu ernten, das auf dem Boden vergammelt.


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Kommentare

8 Antworten zu „Betrachtung über den Misserfolg der SPD“

  1. Avatar von marie

    ABER, als ich noch einen kommentar hinterherschicken wollte
    gings nicht
    es war 1 Minute später, ich hatte was vergessen.
    hast du eine Sperre eingebaut zeitmäßig gesehen
    damit dich keiner zuspammen kann .
    DAS wollte ich ja nicht.
    ich weiss aber nicht mehr was ich sagen wollte, es ist schon eine zeitlang her.
    das hier nur als info für dich und angenehmes Wochenende Doc

    1. Avatar von DocTotte

      Eine extra Sperre habe ich selbst nicht eingebaut (ich muss gestehen, dass ich auch gar nicht wüsste, wo ich da ansetzen sollte). Vorher gab es wirklich nur ein Problem zwischen zwei Plugins, aber da eins geflogen ist, kann es daran nicht mehr gelegen haben.

      Jap, das angenehme Wochenende kann ich gut gebrauchen, danke für die Wünsche. Ich hoffe, du kannst es auch genießen. 🙂

  2. Avatar von marie

    ich will mal testen ob deine kommentarfunktion wieder ok ist
    habs im Twitter gelesen dass du gefragt hast
    konnte da nicht antworten
    ich war an einem kleinen Nokia handy
    kein smartphone
    lg marie

    1. Avatar von DocTotte

      Jap, klappt. Sehr schön! 🙂

  3. Avatar von Corinna

    Oh, und ich dachte, es läge an meiner Verbindung. Ich wollte danach auch einen Kommentar bei Caesar hinterlassen. Da funktionierte es wieder nicht.

    1. Avatar von DocTotte

      Nein, nein, da haben sich zwei Plugins nicht vertragen. Wobei ich jetzt wiederum verwundert bin, dass man sich die Kommentare im Blog nicht angucken kann. Irgenwie ist da der Wurm drin. 🙁

      Nachtrag: Jetzt scheint das auch zu funzen. Ja, diese Flickerei, dabei bin ich noch nicht mal dazu gekommen, richtig am Theme herumzuschrauben. 😉

  4. Avatar von Corinna

    Wow! Danke für diesen Beitrag. Ich finde es super, dass es noch Menschen gibt, die sich zur Politik äußern können, eine Meinung haben und diese auch noch verständlich rüberbringen können. Wird’s noch eine oder mehrere Fortsetzungen geben? Betrachtungen zur CDU, Betrachtungen zur FDP, Betrachtungen zur PDS… ich würde das alles mit Interesse und Vergnügen lesen.

    1. Avatar von DocTotte

      Juhu, die Kommentarfunktion funktioniert wieder. 🙂
      Ich muss gestehen: Der Text zwar nicht als Serie geplant, aber der Gedanke gefällt mir durchaus. Allerdings werde ich das sicher nicht mehr durch die Bank vor der Wahl schaffen, sondern müsste es als längerfristige Serie anpacken.

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