Betrachtungen über einen Kanzlerwahlverein

Kanzlerwahlverein – so hieß die CDU in ihrer Zeit unter Helmut Kohl. Nicht zu Unrecht, denn sie galt damals praktisch als Mehrheitsbeschafferin für Kohl.

Dasselbe in krasserer Form hat die norddeutsche Pfarrerstochter erreicht. Sie hat der Union so unmerklich den Teppich unterm Boden weggezogen, dass diese Partei gar nicht weiß, was sie ohne Angie machen sollte. Es gibt praktisch keine Parteigröße unter Machtmensch Merkel. Die Kanzlerin ist in der Realpolitik längst so pragmatisch ist wie Walter Ulbricht zu Zeiten der Gründung der DDR.

Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu wissen, dass in den kommenden Jahren noch viele kluge (und weniger kluge) Bücher zum Thema Machtkomplex Merkel erscheinen werden. Denn bei aller inhaltlichen Beliebigkeit und personellen Kaltblütigkeit gibt es einen besonders bemerkenswerten Punkt in ihrer Position. Sie hatte ursprünglich keine Hausmacht. Anders als Kohl, der sie über sein Stammland Rheinland-Pfalz, extrem enge persönliche Beziehungen und schwarze Kassen den Rückhalt sicherte, ist Merkel als Generalsekretärin in einem glücklichen Moment durch einen Artikel in der FAZ auf die Position gerutscht, die ihr innerhalb der Union seitdem niemand zu nehmen vermag. Das ist nicht nur beachtlich, sondern zugleich ein Warnsignal an die Partei selbst. Denn wenn Merkel erst mal weg ist (und irgendwann wird auch sie verschwinden), dann tut sich in der CDU eine große Lücke auf. Denn wer soll da stehen? Von der Leyen? Hat sich längst selbst aus dem Rennen genommen, auch indem sie den rechten Flügel vergrault hat. Kauder? Ist zwar ein Strippenzieher vor dem Herrn und verfügt über eine solide Machtbasis aus Südwest, kann sich aber ähnlich schlecht verkaufen wie Steinbrück oder Gabriel. Und die wenigen Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder sind entweder zu verbraucht (Bouffier) oder zu unerfahren (Kramp-Karrenbauer), um den Sprung in den Bund schadlos zu überstehen.

Nebenbei tut sich hier übrigens ein Problem auf, unter dem keineswegs nur die Union leidet. Die Politik findet immer seltener fähiges Personal. Einerseits weil die wirklich fähigen Leute lieber in die Wirtschaft oder gleich ins Ausland gehen. Andererseits weil praktisch keine Partei es mehr zu ertragen scheint, mehr als zwei, drei sich wichtig fühlende Charaktere aufzubieten.

Wo sind die Zeiten, als sich eine Partei durch Leute wie Brandt, Wehner, Schmidt, Vogel und weitere auszeichnen konnte? Wo sind die Zeiten, in denen sich Kohl und Strauß streiten konnten, aber trotzdem an einem Strang zogen? Ich fürchte fast, hier finden sich viel mehr Gründe für die allerorten beschriene Politikverdrossenheit. Denn wo sind die Köpfe, die die Menschen für ihre Sachen gewinnen könnten?


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Kommentare

2 Antworten zu „Betrachtungen über einen Kanzlerwahlverein“

  1. Avatar von DocTotte

    Dabei ist das Bizarre: Trotz der klareren Parteilinien und der deutlicheren Unterschiede waren die Politiker damals menschlich näher. Sowohl dem Wahlvolk als auch sich selbst gegenüber.

  2. Avatar von George

    Ich vermisse die alten Tage, die Tage der Originale und Querköpfe, der klaren Parteilinien. Kohl und Strauß müssen sich ja gehasst haben wie die Pest, aber das wurde – wie du schon sagst – hintangestellt. Heute werden persönliche Animositäten öffentlich ausgetragen, Politik ist zum Kindergarten verkommen.

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