Wie meine Mutter einst die Geschicke der Bundesrepublik in ihren Händen hatte

Ich bin in einem Mietshaus in Essen aufgewachsen – deswegen esse ich bestimmt auch so gerne, aber halt! Ich schweife schändlicherweise schon ab! In diesem Mietshaus wohnte außer meiner Familie unter anderem eine Frau, die in den 70ern eine der Sekretärinnen eines hochrangigen Politikers war. Da dies nun, wie ich bereits erwähnte, in Essen war – ich könnte schon wieder essen, zum Beispiel so eine Schoko-Sahne-Torte … Schluss! – wo war ich? Ach ja, da sie also für einen hochrangigen Essener Politiker arbeitete, war das – 70er-Jahre, klingelt’s schon? – der gute Gustav Heinemann. Gut.

Nun war es im Hause Heinemann Usus, dass wenn der gute Mann Geburtstag hatte, die lieben Angestellten ihrem hochverehrten Chef etwas mitbringen sollten. Die Frau A., wie ich sie hier der Einfachheit halber einmal nennen möchte, war jedoch eine schrecklich unbegabte Hausfrau. Allerdings wusste sie von meiner Mutter, dass diese gern, gut und vieles kochen und backen konnte. Daher bat sie nun meine Mutter, ihr einen Kuchen oder Ähnliches für Heinemanns Geburtstag anzufertigen.

Gesagt, getan. Ohne lange nachzudenken, erschuf meine Mutter ihre legendäre Schoko-Sahne-Torte, deren Rezept sie von ihrem Vater bekommen hatte, der es wiederum von seinen Eltern haben soll – mindestens, ich weiß nämlich nicht, wie viele Generationen das Rezept bereits zuvor im Besitz meiner Familie war. Frau A. bekommt nun die Torte, fährt damit zu Heinemanns Geburtstag und als sie abends wiederkommt, geht sie zu meiner Mutter und erzählt ihr, dass jedermann äußerst begeistert gewesen sei. Und schlimmer! Die dort Anwesenden waren sogar dermaßen angetan von den vorgeblichen Backkünsten der Frau A., dass diese auf der Stelle verdungen wurde, eben diese Schoko-Sahne-Torte in Zukunft bei den verschiedensten Anlässen im Hause Heinemann aufzufahren! Da aber verständlicherweise niemand erfahren durfte, dass sie, die Privatsekretärin von Heinemann, die Torte gar nicht gemacht hatte, weil da ja sonst was hätte drin sein können, bedeutete das in der Folge, dass meine Mutter diese Torte ab sofort nicht allein zu allen Festen unserer Familie anzufertigen hatte, sondern auch zu jedweden Festivitäten im Hause Heinemann.

Wenig später wurde die in der SPD plötzlich als Wunderbäckerin geltende A. um einen Stollen für das Weihnachtsfest der Familie Rau gebeten. Den konnte meine Mutter aber nicht so gut, deshalb bat sie ihre Mutter um Hilfe. Während meine Oma nun voller Stolz den Stollen bereitete, trötete meine Opa – ein langjähriger Sozen- und insbesondere Rauhasser – von hinten: „Tu Gift rein, Emma!“ Was meine Oma zum Glück für meine Familie nicht getan hat.

Bevor mich Anfragen erreichen: Nein, ich werde kein Rezept posten oder per Mail weiterreichen, weil ich in diesem Falle garantiert bis ins dritte Glied enterbt würde und sämtliche Rechte in meiner Familie verlöre. Ich verrate nichts.


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Kommentare

6 Antworten zu „Wie meine Mutter einst die Geschicke der Bundesrepublik in ihren Händen hatte“

  1. […] kommt, denn obwohl sie ihn bekochen musste, hat er immer auch eine Leidenschaft fürs Kochen und Backen gehabt. Vor Feiern und Geburtstagen, Weihnachten, Silvester kenne ich es nicht anders, als meine […]

  2. Avatar von marianne maribu
    marianne maribu

    es hat geklappert

  3. Avatar von marianne maribu
    marianne maribu

    ich hoffe nicht angemeldet zu sein
    „Tu Gift rein, Emma“
    der schönste Satz im ganzen Text

  4. Avatar von Corinna

    *lol* Welch‘ ein Glück für die BRD! Ein Foto der legendären Torte fände ich aber doch ganz angebracht.:)

    1. Avatar von DocTotte

      Leider habe ich kein Foto zur Hand. Vergleichbare Bilder, die mir die Suchmaschinen auswerfen, sehen irgendwie alle ziemlich matschig und eher unappetitlich aus.
      Wenn ich dran denke, versuche ich ein Foto zu machen, wenn meine Mutter zum nächsten Mal so eine Torte macht.

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