Ich habe lange fern meiner Herkunft, meiner Heimat gelebt. Regelmäßige Besuche hielten das Band, zeitweise entstanden auch Überlegungen zum Rückzug, über Jahre wurden diese Gedanken aber davon übertönt, dass das richtige Gefühl noch fehlte.
Als ich schließlich wusste, der richtige Zeitpunkt war gekommen, zog ich ohne Anstellung zurück. Das Jobproblem löste sich noch vor dem eigentlichen Umzug, aber natürlich hatte ich dazu verschiedene Bewerbungsgespräche. Bei einem dieser Gespräche wurde ich auf meine Rückkehr angesprochen, was es mir bedeutete, wieder in meiner Stadt zu sein.
Ich gehöre, gerade beim gesprochenen Wort, selten zu den spontan-schlagfertigen Menschen. Im Moment dieses Gesprächs platzte es aber wie aus einer Pistole „Vertrautheit“ aus mir heraus. Ich erklärte, wie wichtig es mir war, hier im Viertel jede Straße, jedes Haus, praktisch jeden Stein und oft sogar einzelne Schlaglöcher von früher zu kennen. Es ist eine beruhigende Mischung aus Sicherheit und Geborgenheit, ein Wohlfühlen, ein Sich-Wiederfinden-im-Alten.
Sich in einem wohlvertrauten Umfeld zu bewegen verändert das Zeitgefühl. Es entschleunigt.
Aber – und das ist eine nicht zu unterschätzende Gefahr! – es birgt auch die Natter der Langeweile. Das fällt vor allem auf beim Flanieren und noch deutlicher, wenn man gern wieder schön fotografieren möchte. Vertrautheit fördert die Neigung, Motive zu übersehen. Im Zweifel muss man daher lernen, Dinge, Objekte, Szenen, die man schon tausendfach beobachtet hat, bewusst so zu betrachten, als sähe man sie zum ersten Mal. Das fällt nicht immer leicht, weil sich so manches kaum zu ändern scheint. Mit dem richtigen Auge merkt man aber: Ein Baum, den man seit 30 Jahren kennt, ist zwar derselbe Baum wie vor 30 Jahren, aber er sieht doch täglich anders aus. Größe, Licht, Schatten, neue oder abgebrochene Äste – sie alle lassen den Baum stets anders wirken.
Das gilt für alle Dinge. Deshalb ist es wichtig, der Umgebung stets aufs Neue den ersten Blick zu schenken, auch wenn es in Wirklichkeit der tausendste ist. Die Vertrautheit bleibt dennoch erhalten und mit ihr – das Wohlgefühl.
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