Philip K. Dick, Die VALIS-Trilogie

Okay, spätestens jetzt wird es jeder Dick-Leser merken: Ich stelle meine Dick-Sammlung hier weder alphabetisch noch chronologisch vor. Stattdessen gehe ich die Bücher so durch, wie sie nach dem letzten Umzug ins Bücherregal gefallen sind. Das wird in Einzelfällen seltsam anmuten, so wie heute.

Die VALIS-Trilogie ist ein Monster. Ich kenne Leute, die Dick sehr schätzen, aber an dieser Trilogie scheiterten. Und das kann ich durchaus verstehen. VALIS ist nicht nur optisch ein Monster, sondern auch inhaltlich. Die Trilogie besteht aus den drei Romanen VALIS, Die göttliche Invasion und Die Wiedergeburt des Timothy Archer. Die Wiedergeburt gehört eher locker zu den anderen beiden Romanen, was aber weniger Dick als vielmehr dem Verlagswesen geschuldet ist, weil der ursprünglich geplante letzte Roman der Trilogie unvollendet blieb. Aus mir unverständlichen Gründen klatschte man dann eben den „irgendwie“ passenden Timothy Archer dazu, das letzte Buch, das Dick vollendet hat.

Dick begann mit der Niederschrift des Romans nach einem einschneidenden Erlebnis. Er hatte nach einer zahnärztlichen Behandlung Natriumpenthotal bekommen und unter Einfluss dieser Droge Halluzinationen gehabt, die sein Weltbild endgültig umkrempelten. Alles schien ihm nur noch Gaukelei, zeitweise glaubte er, wir lebten immer noch in der Zeit des Römischen Reichs und alle Realität würde uns lediglich vorgespielt werden. (Es gibt dazu einen wunderbaren Strip von Robert Crumb.) Wer da übrigens ein Klingeln hört, dem gratuliere ich herzlich: Ja, die Wachowski-Brüder haben sich fleißig bei VALIS bedient.

Dick hat sich nach diesen Visionen damit beschäftigt, herauszubekommen, was hinter unserer Realität liegt. Das Ergebnis ist VALIS.

VALIS – ein Akronym für Vast Active Living Intelligence System (oder in der deutschen Fassung: Voluminöses Aktives Lebendes Intelligenz-System) – ist ein Satellit, der mit einer rosa(!) Strahlung in unsere Gedanken eindringt und dafür sorgt, dass wir die Welt sehen, wie wir sie sehen. In der Hauptsache geht es dabei natürlich um einen versteckten Polizeistaat. Die Handlung in VALIS ist (meiner Erinnerung nach) recht bescheiden. Der Ich-Erzähler (Philip Dick) erzählt von der Hauptfigur Horselover Fat, der sich mit Kumpels trifft, irgendwann hinter VALIS kommt und danach forscht. Sie lernen einen Musiker kennen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat, und suchen schließlich die zweijährige Sophia, eine Art Orakel. Am Ende muss der Ich-Erzähler feststellen, dass er selbst Horselover Fat ist: Phil-hip (gr. der Pferdefreund/Horselover) Dick (engl. Fat). Das ganze Werk ist durchsetzt mit 52 Punkten aus Dicks eigenen Tractates Cryptica Scriptura, Anweisungen, Hinweisen, Sätzen, Überlegungen, die Dick selbst in seinem persönlichen Wahn gehört haben will. Manche kommen nur einmal vor, andere wiederholen sich permanent, so wie N° 6 „Das Reich endet nie.“
VALIS ist schrecklich und interessant zugleich. Es ist das Ergebnis eines Nervenzusammenbruchs und schenkt gerade psychologisch interessierten Menschen tiefe Einblicke in das, was in einem Menschen vorgeht, der im absoluten Wortsinne neben sich steht. Zugleich halte ich es für eine Art Therapie, der Dick sich unbewusst selbst unterworfen hat. Ohne die Niederschrift von VALIS, so glaube ich, hätte er den ohnehin kurzen Rest seines Lebens in der Anstalt verbracht.

Die göttliche Invasion ist in der in Trilogie der Roman, mit dem ich die größten Probleme hatte. Daher möchte ich mich extrem kurz fassen: Es geht um eine seltsame Parallelgeschichte eines Mannes, der nach einem Unfall in einem kryonischen Zustand liegt und dort seine Vergangenheit wiederträumt. So weit, so gut. Aber diese Vergangenheit beinhaltet eine seltsam isolierte Kolonie auf einem fremden Planeten und zahlreichen Engels- und Gottesquatsch. (Anders kann ich es nicht nennen, tschuldigung).

Der dritte, eigentlich nicht zur Trilogie gehörige Roman Die Wiedergeburt des Timothy Archer fiel mir bei der Lektüre deutlich leichter. Es geht um allerlei Wirrungen im Umfeld eines Gurus und die Kopplung der Leben verschiedener Menschen. Ich kann mich erinnern, dass mich die Schilderung von Bill, einem schizophrenen Sohn einer Figur, sehr beeindruckt hat. Hier gelingt Dick, was er vorher in anderen Büchern besonders gut konnte: psychische Erkrankungen darzustellen.

Summa summarum: VALIS ist grässlich. VALIS ist wichtig. Zumindest für das Verständnis des späten Phil Dick. Was immer mit ihm passiert ist in seinen letzten Jahren – VALIS ist das Ergebnis davon. Wer es sich zutraut, wird in bizarre Welten geführt, die Dick realer waren als vieles andere. Aber er braucht nicht Dick at it’s best zu erwarten. Leider.


Beitrag veröffentlicht

in

, ,

von

Kommentare

  1. Avatar von George

    Deine Bücher fallen nach dem Umzug von selbst ins Regal??? Du glücklicher!
    Trotz aller beschriebener Grässlichkeit und Unwichtigkeit wäre ich nun doch neugierig auf VALIS…

    1. Avatar von doctotte

      Von „selbst ins Regal fallen“ war nicht die Rede. 😉
      Aber ehrlich gesagt erscheint es einem so, wenn man 37 Bananenkartons voll Bücher erst in die Wohnung geschleppt hat. Das Einsortieren ist dann der Schmetterling unter den Elefanten.

      Es ist auch fraglos interessant, aber kein Lesevergnügen. Apropos: Das Reich endet nie.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

%d Bloggern gefällt das: