Ernst Jünger, In Stahlgewittern

Ich kann mich an die Nachrichten erinnern, als Jünger 100 wurde. Die Titanic amüsierte sich über den Drogenopa und ich erntete wenig Verständnis, als ich der Mutter einer Exfreundin anlässlich dieses Geburtstags erzählte, dass ich In Stahlgewittern mal lesen wollte. Für mich ging es dabei ums Prinzip: Auch wenn Jünger als Blut-und-Boden-Autor verschrien war, wollte ich einfach wissen, was dahintersteckt.

Es lang nicht am fundamentalen Unverständnis dieser Dame, dass ich Jünger aus den Augen verloren hatte. Irgendwie ergab es sich einfach nicht. Nun, da Hundert Jahre verstrichen sein werden, seit die moderne Urkatastrophe Europa verwüstete, nahm ich mir die Gelegenheit einfach.

Ich kann sagen, ich war positiv überrascht. (Und muss insofern mit vieljähriger Verspätung die Ex-Schwiegermutter in spe einmal mehr der Ahnungslosigkeit zeihen.) Denn in den Stahlgewittern gelingt Jünger etwas auf faszinierende Weise.

Er verherrlicht nicht den Krieg, wie landläufig getan wird, im Gegenteil, er schildert ihn im Grundsatz recht nüchtern, wenn er dem Leser gerade in den ersten Kapiteln auch so manches Detail erspart. Er schlendert beinah wie ein neugieriger Naturforscher durch dieses vermatschte Panorama des Todes. Diese Art sorgt dafür, dass Jünger die Zeiten, die er als angenehm empfunden hat, nüchtern schildert. Er parliert also wie beiläufig, wie er in ruhigeren Tagen durch die Natur spaziert und Landschaften genießt. Er lässt sich in einem Bombentrichter ein Sonnenbad einrichten, in dem er sich bisweilen von Granaten gestört fühlt. Er beschreibt aber genauso unaufgeregt, wie er mit seinem Zug gegen indische Einheiten kämpft, wie ihn in der Schlacht die Angst beschleicht oder wie seine besten Freunde im Trommelfeuer laute Lieder singen, um sich selbst zu beruhigen.

Jünger schreibt dabei stilistisch sicher nicht besonders ausgefeilt. Aber es ist doch ein sauberer Stil, oft mit einem interessanten, manchmal etwas gestelzten Vokabular gewürzt. In Stahlgewittern ist weniger ein Roman – schon aufgrund der Basis, nämlich Tagebuch-Einträge Jüngers selbst –, sondern vielmehr eine Art Bericht, die Einblick in die Psyche derjenigen gewährt, die vor Hundert Jahren mit Hurra in die Schlachten zogen, bis sie spät, oft zu spät merkten, welch bitterer Illusion sie da verfallen gewesen waren.

Letztlich leidet das Buch unter einem ähnlichen Problem wie Nabokovs Lolita. Beide werden von vielen Lesern abgelehnt, weil sie sich vor lauter schwerem Gepäck an Vorurteilen gar nicht an die Bücher trauen. It’s their loss.


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